Deutschunterricht: Wie Unterschiede zwischen Sprachlernenden im Unterricht zur Chance für alle werden

Dieser Artikel ist der erste aus der Reihe von Anleitung und Anregungen für den Deutschunterricht mit Geflüchteten – von Babbel.

Die Artikel stellen Methoden für Lehrende vor, unabhängig von pädagogischen Vorerfahrungen. Die Artikelreihe fasst die Erfahrungen, die wir im Rahmen unserer Workshops für ehrenamtliche Lehrende gesammelt haben, zusammen.

Nach der Erstversorgung ist es für viele Geflüchtete wichtig, die deutsche Sprache zu lernen, um so in Deutschland ein selbstbestimmtes Leben führen zu können. Wir von Babbel sind stetig in Kontakt mit engagierten Helfenden, die von uns wissen wollen, wie sie Geflüchteten am sinnvollsten Deutsch beibringen können.

Aufgrund unserer langjährigen didaktischen Erfahrung und unseres Ziels, jede lernende Person individuell zu fördern, bekommen wir regelmäßig Anfragen dazu, wie man pädagogisch am sinnvollsten eine große Gruppe mit unterschiedlichen Ausgangssituationen, -sprachen und Lerntempo gemeinsam unterrichten kann. Als Didaktik- und Sprachexpert:innen bei Babbel haben wir daher regelmäßig Workshops zu diesen Themen in unseren Büroräumen veranstaltet, an denen jede:r teilnehmen konnte. Dabei haben wir die wichtigsten Tipps und Tricks gesammelt und hier zusammengestellt.

Gegensätze im Unterricht ziehen sich an

Es ist wichtig zu verstehen, dass Gegensätze in einer Lerngruppe eine spezielle Form des Unterrichts erfordern. Dabei werden die Lernenden nicht, wie wir das noch aus Schule oder Universität kennen, nach ihrem Wissen und ihrer Lernkapazität in Gruppen eingeteilt. Ziel ist es, dass alle zusammen lernen, unabhängig von Lernleistung, Begabung, Alter und Kultur.

Das Lernen einer Sprache ist ein individueller Prozess und der Lernerfolg ist hierbei von vielen Faktoren abhängig. Ein Beispiel ist der Lerntyp – manche lernen besser mit Bildern oder Ton, andere lieber morgens als abends, wieder anderen ist Grammatik sehr wichtig. Lernende unterscheiden sich auch durch ihre Lernziele, zum Beispiel um für eine Arbeitsstelle oder ein Studium ein bestimmtes Deutschniveau zu erreichen.

Außerdem spielen Faktoren wie Lernumgebung, Vorwissen, Motivation oder Sprachlernerfahrung eine große Rolle. Diese unterschiedlichen Voraussetzungen, die auch Heterogenität der Lerngruppe genannt werden, kann sich jede Lehrperson durch zwei pädagogische Ansätze zum Vorteil machen. Die Vielfalt der Gruppe macht das Lernen nicht nur interessant, sondern kann auch motivieren!

Der eine hat die Gurken, der andere den Dill

Die folgenden Tipps ergeben sich aus zwei pädagogischen Ansätzen: Binnendifferenzierung sowie Praxis- und Handlungsorientierung. Beispielhaft wird im Folgenden gezeigt, wie Unterschiede zum Vorteil für jeden Einzelnen in der Gruppe werden können.

Binnendifferenzierung

Sie hat das Ziel, Lerngruppen mit unterschiedlichen Lernstärken und Voraussetzungen erfolgreich lernen zu lassen. In der Praxis sieht das beispielsweise so aus, dass kleinere Lerngruppen innerhalb der größeren Lerngruppe gebildet werden, um die individuellen Lernfähigkeiten, Begabungen und Interessen aller Lernenden voranzubringen, ohne dass andere in der Gruppe darunter leiden.

Dadurch wird im besten Fall die individuelle Motivation, Produktivität und Kreativität gesteigert und durch eine stärkere Identifizierung gleichzeitig das Gruppengefühl gestärkt. Ziel der Binnendifferenzierung ist es, die gesamte Gruppe, also jeden Einzelnen zu stabilisieren, Konflikte zu minimieren, die Selbstverantwortung (durch selbstbestimmtes Lernen) zu steigern, unabhängig zu lernen, Teamwork und Kooperation zu fördern sowie das Wir-Gefühl zu stärken.

Interaktiv Vokabeln lernen können Sprachlernende beispielsweise anhand von Wegbeschreibungen: Zu üben, sich in einer neuen Umgebung zurechtzufinden dient als gutes Beispiel im Sprachunterricht und kann mit wenigen Materialien durchgeführt werden. Auf einer Karte (zum Beispiel einem Stadtplan, einer U-Bahn-Karte oder auch auf dem Handy mit Google Maps) zeigt die Lehrperson allen Teilnehmenden, wo sie sich befinden. Sie können sich nun überlegen, wo sie von dort aus am liebsten hingehen würden, indem sie sich die Karte anschauen und entscheiden, was sie interessiert.

Praxisbeispiel

Variante 1:

Wer? Zwei Lernende mit unterschiedlich guten Deutschkenntnissen
Material? Ein Kartenausschnitt (2 Kopien oder Tafelbild)
Aufgabe? Der/die fortgeschrittenere Lernende erklärt und zeigt der anderen Person seinen Weg und benennt dabei bestimmte Orientierungspunkte.

Variante 2:

Wer? Zwei fortgeschrittene Lernende
Material? Ein Kartenausschnitt (2 Kopien oder Tafelbild)
Aufgabe? Eine Person beschreibt einen Weg innerhalb des Kartenausschnitts (die andere Person sollte diesen nicht sehen) und die andere Person zeichnet diesen auf seinem Kartenausschnitt ein.

Ein konkretes und alltagsrelevantes Beispiel in Berlin ist die Wegbeschreibung vom Bahnhof zur Ausländerbehörde in Berlin-Tiergarten.

Praxis- und Handlungsorientierung

Im handlungsorientierten Sprachunterricht soll eine reale Umgebung geschaffen werden, in der die Lernenden das Gefühl haben, die Sprache wie im Alltag anzuwenden. Wichtig ist dabei, dass die Lernenden so viel wie möglich mit ihren fünf Sinnen erleben. Je mehr Sinne sie einsetzen, desto mehr behalten sie das Gelernte im Gedächtnis. Edgar Dale hat schon 1969 eine Lernpyramide zusammengestellt, die den Zusammenhang zwischen dem Einsatz der Sinne und der Erinnerung an das Gelernte darstellt: Je mehr Sinne wir einsetzen, desto mehr erinnern wir uns.

Ganz nach dem Motto des chinesischen Sprichwortes:

„Ich höre und vergesse, ich sehe und erinnere mich, ich tue es und verstehe es.“

Umsetzung in der Praxis

Dies kann in der Praxis beispielsweise durch interaktives Vokabellernen mit Einkaufszetteln und daraufstehenden Obstsorten umgesetzt werden: Das Erlernen von Vokabeln macht einen großen Teil des Sprachunterrichts aus. Die Kunst besteht darin, auch bei heterogenen Lerngruppen Lernformen zu finden, mit denen alle in der Gruppe lernen können. Dafür sind alltagsrelevante Vokabeln besonders empfehlenswert, wie eben rund ums Thema Einkaufen.

Praxisbeispiel

Wer? Lehrperson und Lernende:r
Material? Obst, zum Beispiel Äpfel
Aufgabe? Die Lehrperson zeigt der Gruppe einen Apfel und sagt zunächst „Apfel“ und danach „Das ist ein Apfel“. Danach kann sie den Apfel genauer beschreiben, indem sie zum Beispiel die Farbe beziehungsweise Form des Apfels erklärt oder auch bestimmte grammatikalische Formen erläutert. Sie kann zum Beispiel sagen „ein Apfel“, „der Apfel“, „zwei Äpfel“ und so weiter.

Dabei werden sowohl Anfänger:innen als auch Fortgeschrittene in den Lernprozess integriert: Anfänger:innen können beispielsweise nennen, wie man „Apfel“ in ihrer Muttersprache sagt oder Verbindungen zu anderen Sprachen erkennen (wie beispielsweise Deutsch-Englisch: Apfel → apple).

In einem zweiten Schritt können die Lernenden aktiv werden und unabhängig von ihrem Deutschniveau einen Einkaufszettel erstellen und diesen danach der gesamten Gruppe vorstellen. Dabei kann jegliches Lernmaterial eingesetzt werden, was die Sinneswahrnehmung der Lernenden anspricht.

Diese zwei Praxisbeispiele zeigen, wie Lernende durch die Ansätze der Binnendifferenzierung sowie der Praxis- und Handlungsorientierung unabhängig ihrer Kenntnisse und ihrer Fähigkeiten aktiv in den Deutschunterricht einbezogen werden können. Im Idealfall schafft dies ein Wir-Gefühl und die Vielfalt der Gruppe wird zum Vorteil für jede:n einzelne:n.

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Alina Wagner

Alina ist PR-Managerin bei Babbel. Sie studierte in Berlin, Buenos Aires und São Paulo Politik-und Kommunikationswissenschaften mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik in Lateinamerika. Sie spricht fließend Spanisch, Englisch, Deutsch und Portugiesisch. Neben ihrer Leidenschaft für Sprachen lernt sie gern neue Länder, Menschen und deren Geschichten kennen. Sie interessiert sich für das Thema Gleichberechtigung, Philosophie, tanzt und singt gern. Alina lebt in Berlin.

Alina ist PR-Managerin bei Babbel. Sie studierte in Berlin, Buenos Aires und São Paulo Politik-und Kommunikationswissenschaften mit Schwerpunkt Entwicklungspolitik in Lateinamerika. Sie spricht fließend Spanisch, Englisch, Deutsch und Portugiesisch. Neben ihrer Leidenschaft für Sprachen lernt sie gern neue Länder, Menschen und deren Geschichten kennen. Sie interessiert sich für das Thema Gleichberechtigung, Philosophie, tanzt und singt gern. Alina lebt in Berlin.